Archiv der Kategorie: Sozialarbeiterprosa

Wohnungsräumungen in Zeiten von Corona

Meine Arbeitswoche begann heute mit der Begleitung eines älteren Mannes nach dessen Zwangsräumung. Die Wohnung roch übel und sah auch übel aus. Die Beschwerden der Nachbarschaft häuften sich. Die vermietende Wohnungsbaugesellschaft hatte ihren Sozialdienst eingeschaltet, um den Bewohner Hilfen bei der Reinigung anzubieten. Dieser hatte trotz aller gegenteiliger Beteuerungen weder Hilfe angenommen noch selbst aufgeräumt. Es kam zur Räumungsklage und wir haben unser Glück auch noch mal versucht. Nach drei Monaten Zeitspiel ohne Ergebnis fiel der Entschluss des Vermieters einen Räumungstermin anzuberaumen. Es ist wie immer tragisch anzusehen, wie die Betroffenen mit den Gerichtsvollziehern diskutieren wollen und sich die lange verdrängte Erkenntnis schließlich doch Bahn bricht. Es ist nichts mehr zu machen, die Wohnung ist weg. Manch einer muss mit der Polizei vor die Türe gesetzt werden. Der ältere Mann heute hat bei der Drohung des Gerichtsvollziehers mit der Polizei schließlich kapituliert. Sich dem staatlichen Gewaltmonopol zu wiedersetzen schien nicht seiner Erziehung zu entsprechen.
Soweit ist das für mich Routine. Ich weiß, dass klingt sehr abgebrüht und ist es vielleicht auch. Ich versuche trotzdem möglichst freundlich, respektvoll und menschlich aufzutreten. Für den Betroffenen ist es meiner Meinung nach besser jemanden an seiner Seite zu haben, der seine Emotionen aus der Angelegenheit heraushalten kann und einen kühlen Kopf bewahrt. Der Sozialdienstmitarbeiter der Wohnungsbaugesellschaft ließ es sich heute nicht nehmen dem Geräumten nochmal seine Versäumnisse vorzuwerfen und sogar über dessen Ignoranz zu lachen. „Doch, in Ihrer Wohnung riecht es wie in einem Mülleimer. Ich habe Ihnen mehrmals Hilfe angeboten, die Sie abgelehnt haben.“ Das ist eine Wohnungsräumungen in Zeiten von Corona weiterlesen

ABC der Wohnungsräumungen

Leider habe ich beim Verfassen diese Textes vorzeitig mit meinen Wurstfingern  auf veröffentlichen gedrückt und einen Entwurf in den Äther geschickt. Hier ist die vervollständigte Endfassung.

Ein Teil meiner Arbeit ist es, Obdachlosigkeit zu verhindern. Das Sozialamt bekommt von den Gerichten und Gerichtsvollziehern Meldungen über Räumungsklagen und Zwangsräumungen von Wohnungen. Das sind in einer Stadt wie Frankfurt etwa 2000 Fälle im Jahr. Der Königsweg ist hier der Wohnungserhalt indem die Mietschulden auf Darlehensbasis übernommen werden oder der betroffene Mensch Unterstützung in seiner Wohnung bekommt. So werden zum Beispiel Grundreinigungen durchgeführt oder ambulantes Betreutes Wohnen installiert. Wenn es ein bisschen komplizierter oder zeitaufwendiger wird beauftragt das Sozialamt den Fachdienst für den ich tätig bin. Es erfüllt mich immer mit einem gewissen Stolz, wenn jemand meine Unterstützung annimmt und dadurch in seinem gewohnten Wohnumfeld verbleiben kann.

Falls weder der Vermieter noch der Betroffene mit sich reden lassen, kommt es zur Zwangsräumung der Wohnung. Etwa einmal im Monat habe ich das zweifelhafte Vergnügen einer solchen Veranstaltung beizuwohnen. Hierbei handelt es sich wie gesagt meist um die kompliziertesten Fälle. Der Großteil dieser Menschen ABC der Wohnungsräumungen weiterlesen

Ratgeber: Richtiges Ärgern oder die Psychiatrie hat keine Krankheitseinsicht

Letztens habe ich mir von der Arbeit mal wieder ein bisschen Ärger für zu Hause mitgenommen. Nicht zum gleich Essen, sondern zum Mitnehmen. So wie in der Eisdiele. Dort wird man bei größeren Portionen schließlich gefragt, ob man es gleich essen mag oder lieber eingepackt mit nach Hause nehmen möchte. Dummerweise hatte mich niemand gefragt, ob ich meinen Ärger lieber gleich runterschlucken oder ihn schön verpackt später genießen möchte. Ich hätte dann  torerogleich den Angriff gewagt und dem Ärger keinerlei Angriffsfläche geliefert. Er wäre von mir mit größter Eleganz ins Leere geschickt und hinterrücks aufgespießt worden. Ich hatte den Ärger aber nicht als solchen erkannt und versucht, ihn an meiner Hülle aus Professionalität abprallen zu lassen. Diese Hülle stelle ich für gewöhnlich nach Feierabend in irgendeine Büroecke und lasse alles schön dran hängen.

Loftartiger Ärger

Auf dem Heimweg war noch alles in Butter. Ich sinnierte noch über ein merkwürdiges Verkaufsschild eines Maklerbüros an einer Bürohausfassade aus den sechziger Jahren, das loftartige Appartements anpries. Loftartige Appartements? Lofts sind meinem Wissen nach zu Wohnzwecken umgebaute Produktionsstätten. Was wohl ein dröger Bürobau aus den Siebzigern  mit den hippen Lofts aus der Jahrhundertwende zu tun hat? Wenn etwas loftartig war, war es kein Loft. Wozu der loftige Hinweis? Bei Lofts waren aus der Not erst eine Tugend und schließlich ein hipper Trend geworden.  Stillgelegte Werkstätten und Industriebauten wurden zu Wohnzwecken elegant umgebaut. Wollte mir der Makler weismachen, dass es der Beginn eines wunderbaren loftartigen Trends war in umgebauten Bürohäusern aus den Siebzigern zu hausen? Immerhin schaut man als Bewohner aus dem Fenster raus Ratgeber: Richtiges Ärgern oder die Psychiatrie hat keine Krankheitseinsicht weiterlesen

Keine Zwangsbeglückung

Als sie endlich aufstand konnte niemand der Anwesenden seine Verwunderung verbergen. Sie richtete sich zu stattlicher Größe auf und begann gemächlich ihre Decke zusammenzufalten. Von den neun Personen die sie dabei beobachteten nahm sie scheinbar keine Notiz. Kurz zuvor hatte sie zusammengekauert auf dem Bürgersteig gelegen. Unter einer Wolldecke lugten nur ihre Füße, die in Filzpantoffeln steckten und ihre nestartige Frisur, die sich turmartig in die Höhe zu strecken schien, hervor. Alle Blicke wanderten zu einer schmalen grauhaarigen Frau, die die Schlafende zuvor geweckt und sich als Psychiaterin vorgestellt hatte. Ein übler, miefiger Geruch breitete sich im Umkreis aus. Er kannte den Geruch. Es war der Geruch von Armut, Krankheit, Überforderung und Verwahrlosung. Schimmliger Geruch wie bei einem in der letzten Campingsaison nass zusammengepackten Zelt, das vergessen worden war. Erneut sprach die grauhaarige Frau leise und höflich in Richtung der packenden Frau. Er verstand nicht alles was Keine Zwangsbeglückung weiterlesen